Mit der Themeninitiative Digitalisierung möchten wir nicht nur Personen in der und um die SPÖ vernetzen und Inhalte aufarbeiten. Wir möchten uns auch mit Expert:innen austauschen, deren Meinungen und Inputs für die österreichische Digitalpolitik und die Sozialdemokratie kennenlernen.
Genau dafür haben wir kürzlich ein Gesprächsformat aufgesetzt. Unter dem Motto „kleines Land, große Ideen“ sprechen wir innerhalb der Themeninitiative mit Menschen, die über Expertise in einem Bereich der Digitalisierung verfügen. Wir unterhalten uns über ihre Perspektive zum österreichischen Status quo und besprechen Herausforderungen sowie notwendige Maßnahmen und Politikinstrumente, um ihnen zu begegnen. Die Expert:innen müssen dabei nicht SPÖ-Mitglieder sein.
Ende Juni fand das erste Gespräch in diesem Format statt. Zu acht waren wir bei Hannes Androsch in seinem Büro an der Wiener Ringstraße zu Gast. Eine Zusammenfassung des Gesprächs, die die Meinung von Hannes Androsch abbildet:
Digitalisierung – nächster Baustein der Technologiegeschichte
Die Menschheits- und Zivilisationsgeschichte war lange Zeit von Jägern und Sammlern gekennzeichnet. Vor rund 12.000 Jahren wurde der Mensch sesshaft und es begann das Agrarzeitalter. Mitte des 18. Jahrhunderts begann das Industriezeitalter. Durch Energieeinsatz für mechanische Kraft wurden die physischen Kräfte des Menschen ungemein gestärkt, z.B. durch Maschinen, Autos oder Flugzeuge.
In den 1930er und 1940er Jahren wurde vermehrt an Wissenschaften wie der Kybernetik und an Rechenmaschinen gearbeitet, die schließlich zu Computern wurden. Zunächst langsam, dann immer schneller, mündete das Industriezeitalter in das digitale Zeitalter. Die Digitalisierung verstärkt bzw. vervielfacht die kognitiven Möglichkeiten und Kräfte des Menschen.
Einen fundamentalen Baustein der Digitalisierung bilden Transistoren, heute oft „Chips“ genannt. Zusammen mit weiteren Komponenten, z.B. Substraten und Leiterplatten, ermöglichen sie die Mikroelektronik und moderne elektronische Geräte. Hannes Androsch ist am österreichischen Unternehmen AT&S beteiligt und dort Vorsitzender des Aufsichtsrates. AT&S ist im Leiterplattenbereich tätig und ein weltweit führender Hersteller von Substraten. Unter anderem zählen iPhones zu den Produkten, in denen Leiterplatten von AT&S zu finden sind.
Künstliche Intelligenz
Beginnend mit der Veröffentlichung von ChatGPT wurde die so genannte Allgemeine Künstliche Intelligenz (AGI) in jüngster Zeit zu einem Hype-Thema. Auch davor gab es bereits öffentlichkeitswirksame Momente, z.B. als Computer Menschen im Schach- und Go-Spiel schlugen. Das Prinzip bleibt aber das gleiche: riesige Datenmengen werden mit entsprechenden Algorithmen verknüpft und in Sekundenschnelle nutzbar gemacht.
Das Ergebnis beruht immer auf den Inputs, die zur Verfügung stehen. Der menschliche Auftrag bestimmt die Funktionsweise des Algorithmus und wie das Werkzeug funktioniert. Dabei entsteht noch nichts wirklich Neues – Computer verfügen mit KI nur über die beauftragte Fähigkeit, mit sehr großen Datenmengen in kurzer Zeit unglaublich viele Varianten durchspielen zu können.
Kritischer Umgang mit Technologie
Digitale Technologien sind ein nützliches Werkzeug. Ein Hammer oder ein Messer sind ebenfalls nützliche Werkzeuge, gleichzeitig können sie auch gefährlich sein und missbraucht werden. Als Gesellschaft müssen wir darauf achten, die entstehenden Gefahren der Digitalisierung im Griff zu behalten.
Einerseits kann KI z.B. bei Kriegen eine gefährliche Rolle spielen. Andererseits muss man bei der Verwendung von KI auch sehr genau aufpassen, wofür man sie einsetzen möchte und ob das sinnvoll ist, wie z.B. das jüngste Beispiel des österreichischen AMS zeigt. Jedenfalls müssen wir sicherstellten, dass wir im Zusammenspiel zwischen Menschen und Maschinen nicht in die Rolle des Zauberlehrlings geraten.
Gleichzeitig müssen wir die Implikationen der Digitalisierung erkennen: das iPhone ist praktisch ein Computer im Taschenformat, von dem wir völlig abhängig geworden sind. Auswirkungen zeigen sich bereits bei Kleinkindern, mit entsprechenden Konsequenzen für die Kindererziehung. Von der digitalen Alphabetisierung bis zur digitalen Demenz gibt es zahlreiche Herausforderungen. Diese wird man nicht lösen können, indem man sagt, man kehrt zu einem analogen Zeitalter zurück.
Europas und Österreichs wirtschaftliche Position
In der Europapolitik ist es ein Problem, dass die Macht beim Rat der Europäischen Union liegt. Dort dominieren oft nationale Interessen, seit der sehr erfolgreichen Amtszeit von Jacques Delors wird viel zu viel reguliert und verboten. Die Europäische Kommission greift zu sehr missionarischen Vorschriften. Für die wirtschaftliche Basis des Kontinents ist das ein Problem.
In der Digitalisierung ist Europa wirtschaftlich nicht gut aufgestellt. Wenige Ausnahmen, in Österreich z.B. Infineon, NXP, AMS Osram oder AT&S, ändern nichts an der Gesamtsituation. In den USA und China wird sehr viel Geld investiert, im Vergleich dazu sind europäische Programme, z.B. die IPCEIs, mit viel zu wenig Budget dotiert. Dabei geht es nicht darum, in absoluten Zahlen mithalten zu müssen, sondern darum, gezielt die Ressourcen zu ergänzen und zu nutzen, die wir schon haben. Das versäumen wir, sowohl im Industriebereich als auch in der Wissenschaft.
Die Politik beschäftigt sich zu wenig ganzheitlich mit Themen. Das Ergebnis sind dann Probleme bei der praktischen Umsetzung von Zielen oder Gesetzen. Möchte man z.B. ein Windrad oder ein Krankenhaus bauen, dann kollidieren diese staatlich erwünschten Vorhaben häufig mit dem staatlich ebenfalls erwünschten Umweltschutz. Ein zusätzliches Problem in Österreich und Europa ist die Fragmentierung, das sieht man z.B. im Eisenbahnsystem, das aufgrund verschiedener nationaler Regelungen international nicht mehr mithalten kann.
Forschung und Entwicklung in Österreich
Internationale Technologie-Unternehmen lassen sich in Europa außerhalb Großbritanniens z.B. rund um die ETH Zürich oder die TU München nieder, aber nicht im Umfeld der TU Wien, der TU Graz, der JKU in Linz oder der FH Hagenberg. Bestehende, gut aufgestellte Institutionen werden in Österreich nicht entsprechend gefördert – stattdessen wird z.B. eine neue Einrichtung in Linz gegründet, hier wird es aber noch sehr lange dauern und viel kosten, bis überhaupt Ergebnisse vorhanden sind.
Generell werden in Österreich viele Luftschlösser angekündigt, wir bringen aber nur wenige Dinge am Boden. Das betrifft insbesondere die Bildungspolitik. Trotzdem können auch kleine Steine Kreise ziehen – z.B. rund um die in Wien geplante Digital Innovation School in Zusammenarbeit mit der deutschen Helmholtz-Gemeinschaft.
Österreichische Wissenschaftler beschäftigen sich, im Unterschied zu Wissenschaftlern z.B. in Großbritannien, zu wenig mit der wirtschaftlichen Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Die österreichische Forschungsquote inkludiert außerdem große Teile der Universitätsbudgets, die Höhe der Forschungsquote ist daher weniger aussagekräftig. Bei den technischen Universitäten geht in der Zwischenzeit die Zahl der Studierenden zurück. Das ist ein Problem, das durch Selbstlob nicht weniger wird. Wenn man nicht für die Diagnose bereit ist, dann wird man nicht zur Therapie kommen.
Bildung als Schlüsselthema
Bildung ist das zentrale Thema für die Digitalisierung in Österreich. Das beginnt in den Schulen – dort hat zwar jetzt die Sekundärstufe durchgehend ein Werkzeug in Form eines mobilen Endgeräts. Deswegen wissen Kinder aber noch nicht, wie man damit umgeht. Den richtigen Umgang mit Technologie zu vermitteln ist im österreichischen Schulsystem mit seinem noch auf die Habsburger zurückgehenden Fächerkanon nur schwer möglich. Es fehlt die Verknüpfung verschiedener Themen, die es aber braucht, um mit komplexen Gegebenheiten und ihren Wechselwirkungen umgehen zu lernen.
In China sagt man, die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Das betrifft auch den Bildungsbereich im Kontext der Digitalisierung – das Lehrpersonal muss entsprechend ausgebildet werden, um weg vom Fächerkanon und vom Kasteldenken zu kommen. Beispielsweise sind smarte Tafeln zum Teil vorhanden, die Lehrkräfte können aber nicht mit ihnen umgehen. Das muss sich ändern.
In Skandinavien, der Niederlande, der Schweiz oder der Ukraine ist man Österreich in der Digitalisierung weit voraus. Wenn man ein Thema ausblendet, was soll dann passieren? Dann bleibt es liegen und es kommt nichts heraus. Verschränkte Ganztagsschulen wie anderswo fehlen bei uns.
Regeln & Regularien in Österreich und Europa
Im Bereich der Digitalisierung braucht es auch einen Altruismus, einen Sinn für das gemeine Wohl. Was sind die Spielregeln, was sind die Begrenzungen, was ist die Magna Charta des digitalen Zeitalters?
Rund um den Umgang mit Social Media, Internet-Kriminalität etc. stellen sich Sicherheitsfragen, ethische Fragen usw. – wir müssen in der Lage sein, damit umzugehen. Die österreichische Realität ist leider eine andere: wir sind nicht einmal in der Lage Gesundheitsdaten aus verschiedenen Einrichtungen zusammenzuführen.
Auf EU-Ebene ist der regulatorische Ansatz wiederum einer, der versucht, der ganzen Welt vorzuschreiben, wie sie sein soll. Das kann nicht funktionieren, ein Beispiel ist das Lieferkettengesetz: wenn ein Konzern wie AT&S z.B. notwendiges Equipment von außerhalb der EU haben will, dann muss man froh sein, wenn man es überhaupt bekommt und kann nicht die Herkunft jeden Teiles überprüfen.
Missionarische Luftschlösser-Ziele verhindern in Europa das, was möglich ist. Ankündigungen für 2030 oder darüber hinaus sind oft unrealistisch und nicht umsetzbar – in Gesetze gekleidet ohne Rücksicht auf Widersprüche führen sie aber zu Übertreibungen bei der Anwendung. Die wählende Bevölkerung wandert dann zu Extremen.
Die Rolle der Sozialdemokratie
Bildung muss ein Kernthema der Sozialdemokratie sein, das zeigen schon die historischen Arbeiterbildungsvereine. Hier gibt es für die SPÖ und in der SPÖ viel zu tun: der Umgang mit sozialen Medien muss besser verstanden werden. Die Sicherung des Analogen ist ein Rückwärtsgang – stattdessen sollten Pensionisten eingeladen werden, alte Menschen sind ja nicht alle dement oder haben Alzheimer, sie können Digitalisierung auch nutzen.
Ein schlagkräftiges Programm kann auch in der Opposition entwickelt werden: In der Zeit als Bruno Kreisky noch nicht in der Regierung war, 1966-1970, wurde über eineinhalb Jahre ein wirtschaftspolitisches Programm entwickelt, inklusive Finanzierungskonzept und dazu passendem Motto: Leistung, Aufstieg, Sicherheit – das war eine Ansage für die Zukunft!
Von seinen Grundvoraussetzungen her hat Österreich das Potenzial, aufzuholen und nach vorne zu kommen. Bestehende Lösungen von anderswo nachzuahmen kann uns dabei helfen, Abkürzungen zu nehmen. Dafür ist die politische Beschäftigung mit den Themen ein wichtiger Schritt.